Friday 5 February 2016

The Danish Girl (2015)

Noble Betrachtung über Geschlechterrollen und Identität

Im Amsterdam der 1920er-Jahre führt der Maler Einar Wegener (Eddie Redmayne) mit seiner Frau Gerda (Alicia Vikander) eine quirlige Künstlerehe. Sie beide sind als Maler tätig, er erfolgreicher als sie. Eines Tages bittet Gerda ihren Mann, ihr in Frauenkleidern Modell zu stehen. Die Strümpfe, die Schuhe und das Balletkleid lösen etwas in ihm aus, das er kaum einordnen kann. Als Gerda die Vorliebe ihres Mannes für Frauenkleider entdeckt, spielt sie zunächst leichtfüssig mit. Das Ehepaar entwirft im Spass eine Kunstfigur: Lili, Einars angebliche Cousine. Verkleidet als Lili besucht Einar einen Ball. Dort wird er von einem anderen Mann bedrängt, was ihn in sexuelle Verwirrung stürzt.

Was ist nur los? Nach und nach wird Einar bewusst, dass er sich in seinem eigenen Körper fremd fühlt. Er ist sich sicher: Im seinem tiefsten Inneren ist er eigentlich eine Frau. Kann Einar diese Erkenntnis einordnen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus ihr? Welche Zukunft hat seine Ehe mit Gerda? Um diese Fragen kreist Tom Hoopers aktueller Spielfilm The Danish Girl.

Der Film beginnt mit einigen grandiosen Landschaftsaufnahmen, deren symbolischer Gehalt erst am Ende des Films aufgelöst wird. Der Stil dieser Aufnahmen ist betont malerisch. Während der gesamten Laufzeit gibt es immer wieder vereinzelte Szenen, die ein gutes Gemälde abgeben würden: zwei gelbe, lange Häuser, die sich in einer extremen Zentralperspektive verlieren; Einar alias Lili, die à la Vermeer gedankenversunken vor einem Fenster sitzt; und schliesslich das Ehepaar Wegener, das eine romantische Landschaft bestaunt. Ansonsten bietet Hooper unaufgeregte, kontemplative Bilder, die die Vergangenheit – ähnlich wie in The King’s Speech – in einer wohligen Noblesse erstrahlen lassen; Bilder, denen man allenfalls eine gewisse Biederkeit vorwerfen kann, in der allerletzten Szene sogar Kitsch. Das Herz dieses Filmes ist aber ohnehin nicht sein Stil, sondern seine beiden Hauptdarsteller.

Eddie Redmayne (The Theory of Everything) strahlt von Anfang an eine androgyne Aura aus, und seine Kostümierung als Frau wirkt glaubwürdig, ohne allzu glatt zu sein. Redmaynes Mimik besteht vor allem aus einem vielschichtigen Lächeln, das je nach Umstand schüchterne Freude oder bodenlose Verzweiflung ausdrückt. Seine Präsenz als Lili ist faszinierend, scheint aber eher seiner Physiognomie als seinem Schauspiel geschuldet zu sein. Redmayne hat durchaus seine emotionalen Momente, aber zu oft ist da dieses Lächeln auf seinem Gesicht, das alles bedeuten kann; alles, aber auch nichts.

Das eigentliche schauspielerische Wunder in diesem Film ist Alicia Vikander (Ex Machina). Von der ersten Szene an tänzelt sie mit einer Unbefangenheit durchs Bild, die entwaffnet. Sie spielt eine gleichermassen gütige wie starke Frau, die offen und geduldig mit den sperrigen Selbsterkenntnissen ihres Mannes umgeht. Obwohl sie die Verwandlung Einars in Lili entfremdet, beisst sie die Zähne zusammen und weigert sich partout, ihren Mann als verrückt abzutun. Sie will ihm helfen – und wird so zu einer Kämpferin für exakt jene Liebe, die sie durch ihre Hilfe zu verlieren droht. Während ich Mühe hatte, den Zugang zu Lili zu finden, reichte ein Blick in Gerdas Gesicht, um mich zu Tränen zu rühren. Vikanders ausdrucksstarken Augen zeigen nicht nur Gerdas Konflikte, sondern in ihnen spiegelt sich auch das Schicksal Einars. Eine herausragende Leistung von Frau Vikander – allein sie macht The Danish Girl sehenswert.

Inhaltlich wird der Film vor allem dann interessant, wenn er sich mit der Frage befasst, inwiefern das Geschlecht unsere Persönlichkeit bestimmt. Einar und Gerda vertreten hier unterschiedliche Meinungen. Einar interpretiert Lili als sein wahres Ich; der Mann Einar wird letztlich zu einer Rolle degradiert, die abgeworfen werden muss. Dagegen sagt Gerda: „Ich habe dich geheiratet, nicht Einar!“, wobei das „dich“ auch auf Lili verweist. Hier wird die Möglichkeit einer Liebe aufgetan, die die Geschlechtsumwandlung überdauert. Mit seinem verständlichen Wunsch nach Klarheit zementiert Einar ironischerweise die Geschlechterrollen, während Gerda eine Offenheit zuzulassen bereit ist. Sie sieht in Einar primär einen Menschen, nicht eine geschlechtlich normierte Rolle. 

Auf einer tieferen Ebene wirft der Film ausserdem einen Blick auf das verwickelte Verhältnis zwischen Geist und Körper. Einars Körper ist männlich, sein Geist aber ist weiblich. Dass er sich wie eine Frau kleidet, ist zunächst eine soziale und kulturelle Praxis, die ihm Raum zum Atmen verschafft. An diesem Rollenspiel ist Gerda wesentlich mit beteiligt. Indem sie Einar als Lili portraitiert, gestaltet sie sie. Man könnte sagen, Lili ist eine geistige Schöpfung des Ehepaars Wegeners; eine Schöpfung aber, die bald ihren Tribut einfordert. Die Rolle will Wirklichkeit werden, indem sie sich körperlich manifestiert.

An dieser Stelle kommt die chirurgische Geschlechtsumwandlung ins Spiel, die in den 1920er-Jahren noch in den Kinderschuhen steckt. Sie wird von Einar als einzigen Weg der Selbstwerdung angesehen. Eigentlich eine unglaubliche Sache, wenn man darüber nachdenkt! Bei einem solchen Eingriff tritt die Medizin in den Dienst des Geistes; sie verändert den Körper so, dass er dem persönlichen Empfinden entspricht. Nur: Lässt sich eine solche Umwandlung vollziehen, ohne dass sich der Körper rächt?

Solche Fragen sind es, die The Danish Girl spannend machen. Dagegen sind die Szenen, die offensichtlich den Zeigefinger erheben, kaum erhellend. Besonders die Schlussszene  ist ein Wermutstropfen: Was für ein Klischee! Während der letzten Sekunden habe ich mich unwillig im Kinosessel hin und her gewunden. Dennoch hat Tom Hooper hier einen edlen und berührenden Film gedreht, in dem das Sternchen Alicia Vikander besonders hell leuchtet.

7/10

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