Saturday 10 June 2017

Battle Royale (2000)

Platte Sozialsatire, blutig verpackt

(Die folgende Rezension enthält leichte Spoiler.)

Im Asien der nicht allzu fernen Zukunft ist das Realität, was Sokrates angeblich schon immer wusste: Die Jugend ist verdorben und respektos. Die Jugendkriminalität hat derart drastische Ausmasse angenommen, dass die Regierung dringend etwas dagegen unternehmen muss. Der Masterplan? Ganz einfach: Man nehme jedes Jahr eine zufällige Schulkasse, entführe sie auf eine abgelegene Insel und lasse sie gegeneinander kämpfen, auf Leben und Tod. Das bringt den kleinen Rackern bestimmt Manieren bei … Na ja, vielleicht auch nicht. Immerhin kann man das Spektakel als Reality Show vermarkten und dabei gehörig Kasse machen.

Battle Royale (2000) geht mit einer Direktheit ans Werk, die einem ein anerkennendes, wenn auch stirnrunzelndes Nicken entlockt. Der Regisseur Kinji Fukasaku (Fukkatsu no hi) verschwendet kaum eine Minute, bis er die Schulkasse mit dem tödlichen Spiel konfrontiert. Der ehemalige Klassenlehrer Kitano führt seelenruhig in die Spielregeln ein: Nur ein Mitglied der Klasse kann überleben, alle anderen müssen sterben. Jeder Schüler erhält eine zufällige Waffe, und los geht’s. Was geschieht? Nach einem anfänglichen Scharmützel raufen sich die Schüler in Grüppchen zusammen und versuchen, der unmenschlichen Ausgangslage zu entkommen – und zwar alle auf ihre je eigene Weise. Einige begehen Suizid, andere versuchen das System zu sabotieren, wieder andere metzeln ihre eigenen Freunde rücksichtslos nieder. Dabei bedient sich Fukasaku einer unverblümten, unaufgeregten Brutalität. Er zeigt uns genau das, was zu erwarten ist: erst hoffnungsloser Widerstand, dann Verrohung und schliesslich Chaos. Fatalistisch scheint der Film auf das zuzusteuern, was Kitano vorgesehen hat: auf das Überleben eines Einzelnen, der seinen Sieg bitter und unmoralisch erkämpft hat.

Das Geschehen nimmt sich aus wie eine pointierte, plakative Version von William Goldings Roman Lord of the Flies (1954). Kann uns Battle Royale etwas Neues bieten? Kaum. Explizite Gewalt ist kein Ersatz für tiefe Emotionen. Und Tiefe fehlt diesem Film tatsächlich, auch wenn er uns mit diversen surrealen Sequenzen etwas anderes vorgaukeln will. Eine Mediensatire ist Battle Royale nicht länger als fünf Minuten lang, und als Gesellschaftssatire ist das Gezeigte zu durchschaubar. Man kann es niemandem verdenken, der nach dem Film schulterzuckend fragt: „Und nu’?“ Interessant ist allenfalls die psychische Verfassung des Klassenlehrers Kitano (wunderbar flapsig gespielt von Takeshi Kitano), der im Zentrum einiger Szenen steht, die von Park Chan-wook (Oldboy, Lady Vengeance) hätten gedreht werden können. Aber die Symbolik dieser traumartigen Szenen ist neblig, und Kitanos Motive bleiben entsprechend undurchsichtig.

Battle Royale punktet vor allem mit seinem Unterhaltungswert. Es ist packend, der blutigen Selbstzerstörung der Klasse beizuwohnen. Fukasakus Inszenierung ist grundsolide, vor allem bei den Actionszenen – die übrigens gar nicht so schockierend sind, wie manchmal suggeriert wird. Fukasaku tut sein Möglichstes, um die Schüler nicht auf Kanonenfutter zu reduzieren. Dass er an dieser Aufgabe scheitert, ist nicht ihm anzulasten, sondern dem überladenen Plot. Man mag einwenden, dass die Pointe ja gerade darin bestehe, die 42 Schüler auch auf filmischer Ebene zu instrumentalisieren. Das kann aber nicht stimmen, da sich Fukasaku durchaus um emotionale Zugänglichkeit bemüht. Battle Royale ist keine nihilistische Zuschauerfolter à la Die 120 Tage von Sodom. Es handelt sich um ein Action-Thriller mit zynischer Prämisse, in dem sich zuletzt – und allen Befürchtungen zum Trotz – Zuversicht einstellt. Es ist eine Zuversicht, die letztlich fast naiv wirkt – und Battle Royale als Unterhaltungsfilm ausweist, der mehr sein will, aber nicht mehr sein kann.

Was bleibt? Eine Schulkasse, die sich selbst zerfleischt. Eine vielversprechende Prämisse, spannend umgesetzt. Für einen kurzweiligen Filmabend reicht das. Aber die Idee hätte wesentlich mehr hergegeben. Wen das Thema „Krieg im japanischen Klassenzimmer“ interessiert, ist mit Tetsuya Nakashimas vielschichtigem Psychogramm Confessions (2010) besser bedient.

6/10

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