Thursday 18 February 2016

Ghost in the Shell (1995)

(Die folgende Rezension enthält leichte Spoiler.)

Kunstvoller Science-Fiction-Film, der tief in philosophische Fragen eintaucht

2029. Unter dem Codenamen „Puppet Master“ begeht ein meisterhafter Hacker auf dem ganzen Globus Cyber-Verbrechen. Als er in Japan aktiv wird, zieht er die Aufmerksamkeit der Sektion 9 auf sich; einer Abteilung der Regierung, die für die öffentliche Sicherheit zuständig ist. Die Cyborg-Agentin Motoko Kusanagi aus Sektion 9 macht sich auf, den mysteriösen Hacker zu fassen. Motoko merkt schnell, dass auf den Spuren des Puppet Masters einige Geheimnisse verborgen liegen – nichts zuletzt Geheimnisse über sie selbst …

Es ist hinreichend bekannt, dass Mamoru Oshiis Ghost in the Shell (jap. Kōkaku Kidōtai Gōsuto In Za Sheru) als Inspirationsquelle für den einflussreichen aber letztlich mittelmässigen Spielfilm The Matrix (1999) der Wachowski-Geschwister diente. Was die ästhetische Ambition und die inhaltliche Komplexität betrifft, gehört der vorliegende Zeichentrickfilm allerdings eher in die Liga von Ridley Scotts Blade Runner (1982) – vielleicht übertrifft er ihn sogar. Ghost in the Shell berührt viele genuin philosophische Fragen: Was ist der Mensch? Was heisst es, zu leben? Wie kann in einem Körper eine Seele stecken? Was macht unsere Persönlichkeit in ihrem innersten Wesen aus? Ist die menschliche DNA vergleichbar mit einer Programmiersprache? Wie lassen sich Wirklichkeit und Illusion unterscheiden – wenn überhaupt? Wo sollten die Grenzen des Human Enhancements gezogen werden? Oshii vermeidet es, platte Antworten auf diese Fragen zu liefern. Genauer gesagt verzichtet er überhaupt auf Antworten. Vielmehr lädt er zu einer meditativen Reflexion über sie ein, wie er es schon zehn Jahre früher in seinem atemberaubenden Arthouse-Anime Angel's Egg (1985) getan hat.

Als ich Ghost in the Shell zum ersten Mal sah, störte mich dieser Ansatz; ich empfand ihn als intellektuelle Ausflucht, zumal mir einige Aussagen (etwa des Puppet Masters) philosophisch missfielen. Mittlerweile jedoch bewundere ich die Offenheit des Filmes; denn sie ist alles andere als ein billiger Taschenspielertrick. Mit jeder Sichtung werden neue thematische Nuancen und Verbindungslinien sichtbar. Grosse Kunst ist schweigsam; sie gibt ihre Geheimnisse nicht leichtfertig Preis. Und  ist Ghost in the Shell ist grosse Kunst, die sich mühelos mit dem populären Sic-Fi-Genre verbindet.

Der ungeheure Stilwille Oshiis zeigt sich schon in den Opening Credits. Sie stellen die Erschaffung eines Cyborgs dar und heben diesen Vorgang auf eine fast schon sakrale Ebene. Eine Szene des Intros ist stilistisch besonders bemerkenswert: Sie zeigt Motoko, wie sie vom Bett ihres Appartements aufsteht und sich für den Arbeitstag bereit macht. Die Kamera ist statisch auf das Fenster gerichtet, das in eine öde Skyline blickt. Um das Fenster herum ist alles schwarz. Dann erscheint auf dem Boden ein Lichtstreifen; Motoko, ausserhalb des Bildausschnitts, hat eine Tür geöffnet. Wenig später erscheint sie als Silhouette vor dem Fenster. Dann, unvermittelt, werden die Rollläden geschlossen. Absolute Dunkelheit. In nur wenigen Sekunden baut Oshii ein virtuoses Spiel mit Hell-Dunkel-Kontrasten, abstrakten Formen und musikalischer Rhythmisierung auf.

Allerdings sind auch die Schauwerte von Ghost in the Shell nicht zu verachten. Die Action-Szenen inszenieren präzise jede Bewegung und jeden Schuss. Sie haben etwas Kontemplatives, was vor allem am Soundtrack liegt; Oshii unterlegt den lauten Kugelhagel mit einem nachdenklichen Musikteppich, was einen knackigen Kontrast ergibt. Besonders beeindruckend ist der Showdown zwischen Motoko und einem schwer bewaffneten Panzer-Roboter. Noch in einem ohrenbetäubenden Kugelgewitter gelingt es Oshii, philosophische Ideen in die Handlung zu weben, ohne dass es forciert wirkt. Ghost in the Shell schafft es, ohne Bombast denkwürdige Action zu liefern.

Am Ende des Filmes greift Oshii nach einer metaphysischen Ebene, wobei er sich religiöser Symbole bedient. Motoko, so scheint es, überschreitet die Grenzen des Menschlichen. Sie wird eins mit dem weltumspannenden, digitalen Netzwerk und erreicht so eine Art der Unsterblichkeit. „The net is vast and limitless“, sagt sie zum Schluss – ein Satz, der durchaus als Weisung des 21. Jahrhunderts gelesen werden kann. Das Internet ist längst zu einer Erweiterung unserer Persönlichkeit geworden; mehr denn je ist unser Geist mit anderen verlinkt. Dass Ghost in the Shell das Digitale nicht nur mit dem Biologischen, sondern auch mit dem Religiösen parallelisiert, ist äusserst interessant. Haben die Wachowski-Geschwister aus ihrer Hauptfigur Neo einen billigen Jesus-Verschnitt gemacht, sind Oshiis Überlegungen wesentlich scharfsinniger. Sie gemahnen an den Pantheismus und an den philosophischen Begriff des Absoluten.

Dass Oshii alle diese abstrakten und komplexen Themen schlüssig in einen spannenden Sci-Fi-Thriller von gerade Mal 80 Minuten Laufzeit einzuweben versteht, ist ein eigentliches Wunder. Stellenweise hat man den Eindruck, dass der Fragenkatalog arg breit gefächert ist, zumal die Antworten grösstenteils ausbleiben. Die Leerstellen, mit denen Oshii das Publikum zurücklässt, können seelenlos wirken – sie sind es aber nicht, wenn man dem Film die Aufmerksamkeit schenkt, die er verdient. So muss Ghost in the Shell nicht nur als Meilenstein des japanischen Zeichentrickfilms, sondern des Science-Fiction-Genres im Allgemeinen angesprochen werden.

10/10

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