Saturday 20 February 2016

Stoker (2013)

(Die folgende Rezension enthält leichte Spoiler.)

Überstilisierter, morbider Horror-Thriller über eine gefühlsleere Familie

Richard Stoker ist tot; und niemand weiss so recht, weshalb. Fest steht nur, dass seine Ehefrau Evelyn (Nicole Kidman) und seine Tochter India (Mia Wasikowska) nurmehr zu zweit im noblen Stoker-Anwesen leben. Nach der Beerdigung des Familienvaters nistet sich jemand Drittes im Hause ein: Charles Stoker (Matthew Goode), Richards mysteriöser Bruder. Anfangs zeigt India ihrem charismatischen Onkel die eiskalte Schulter, zumal sie eine Affäre zwischen ihm und Evelyn vermutet. Doch die Dinge sind anders, als sie scheinen, denn die Familie Stoker verbirgt so einige dunkle Geheimnisse …

Der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook (Oldboy; I'm a Cyborg, But That's OK) ist ein grandioser Stilist des Morbiden. Sein Talent stellt er auch in der vorliegenden, englischsprachigen Produktion Stoker unter Beweis. Der Film beginnt bereits auffällig mit schiefen Kamera-Einstellungen und scheinbar unmotivierten Freeze Frames. Das Stoker-Anwesen und der umliegende Garten wirken bedrückend und kalt, wenn auch faszinierend in ihrer düsteren Noblesse.

Mia Wasikowska (Alice in Wonderland, 2010) als India Stoker ist wie ein schlafender Vulkan, der kurz davor ist, auszubrechen. Sie entspricht dem Klischee des zugeknöpften, doch anziehenden Mauerblümchens. Der Gefühlsleere im Äusseren entspricht ein Brodeln im Innern. Wasikowska bringt den Spannungsbogen ihrer Figur subtil und gleichzeitig kraftvoll zur Darstellung. Matthew Goodes (Watchmen, The Imitation Game) Leistung als Charles Stoker ist nicht weniger beeindruckend: Den weltgewandten Schönling nimmt man ihm ebenso mühelos ab wie den unberechenbaren Weirdo. Leider hat Nicole Kidman (Dogville, The Others) kaum Gelegenheit, wirklich zu glänzen; sie mimt die anhängliche und verletzliche Dame des Hauses aber anstandslos.

Sieht man von einzelnen visuellen Leckerbissen ab, bleibt die Inszenierung Parks überraschend bodenständig. Trotzdem weist Stoker durchaus den ein oder anderen „Was zur Hölle war das denn bitteschön?“-Moment auf. Solche Momente ergeben sich diesmal nicht unbedingt aus surrealen Bildern, sondern vor allem aus dem Inhalt, der von Minute zu Minute stärker in die perverse Erotik abdriftet. Diese Perversität hat nicht nur mit den latent inzestuösen Geschehnissen im Hause Stoker zu tun; sie ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass Park das sexuelle Erwachen Indias eng an Gewalt und Tod knüpft. Die Schlüsselstelle dieses Filmes ist eine verstörende Masturbations-Szene, die keineswegs Ausdruck der Lust, sondern vielmehr Ausbruch der Verzweiflung ist.

Es ist denn auch diese Szene, die den letzten Akt von Stoker einläutet; und der ist keine leichte Kost. Die Taten der drei Hauptfiguren werden zusehends fragwürdiger; und zwar nicht nur moralisch (mit Moral hat dieser Film gar nichts am Hut), sondern emotional. Eine Identifikation mit den Stokers ist zuletzt kaum mehr möglich. Besonders die Charakterentwicklung Indias wird inhaltlich nur unzulänglich ausgeleuchtet, sodass sich der Zuschauer mit der Symbolik des Filmes behelfen muss. Diese fällt teilweise leider etwas flach aus, namentlich wenn es darum geht, Indias verlorene Unschuld darzustellen. Stoker spricht äusserst interessante Themen an: apathische Grausamkeit, familiäre Abhängigkeiten, unwilliges Erwachsen-Werden, sexuelle Frigidität und grüblerische Einsamkeit. Alles dies gipfelt in einem zwar ungewöhnlichen, doch unzugänglichen Finale.

Stoker ist besonders dann interessant, wenn er die Grenzen der morbiden Erotik auslotet. Hier macht sich ein ganz eigener Grusel breit. Stilistisch überspannt Park manchmal merklich den Bogen. Trotzdem: Dieser Film ist ein Fest für die Sinne, ein elegant-düsteres Familienportrait und eine unterkühlte Charakterstudie. Die enigmatische India Stoker hat das Zeug dazu, eine ikonische Figur des Horror-Genres zu werden. Aber dafür müssen wir wohl noch ein paar Jährchen warten. Denn für die Familie Stoker erwärmt man sich nicht von heute auf morgen.

8/10

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