Wednesday 4 January 2017

Eat Drink Man Woman (1994)

Charmantes Portrait einer Familie im Umbruch

Chu ist ein Meister der chinesischen Küche: Souverän befehligt er ein ganzes Heer von Köchen. Weniger meisterhaft ist Chus Umgang mit seinen drei unverheirateten Töchtern, die noch bei ihm zuhause wohnen. Der verwitwete, wortkarge und grummelige Mann dringt nicht so recht zu den Frauen vor; geredet wird in der vierköpfigen Familie vornehmlich „durch den Magen“ – insbesondere beim sonntäglichen Festessen. Dabei gäbe es doch Einiges zu besprechen: denn alle drei Töchter sind drauf und dran, sich in Liebeswirren zu stürzen. Und auch der Herr des Hauses hat eine Überraschung für seinen Nachwuchs parat …

Eat Drink Man Woman ist das warmherzige Portrait einer Familie im Umbruch. Bald schon werden die Töchter ihr Elternhaus verlassen, ein eigenes Leben beginnen. Welche Wege werden sie einschlagen? Wird die älteste Tochter ein zurückhaltendes, strenges Mauerblümchen bleiben? Will die mittlere Tochter ihre aussichtsreiche Beförderung annehmen und nach Amsterdam ziehen? Und wie steht es mit dem Nesthäkchen – welche Pläne hegt es? Fragen über Fragen, die das Drehbuch elegant ineinander verwickelt und wieder auflöst. Die Geschichte ist meisterhaft aufgebaut: Sie hat einen leichtfüssigen Rhythmus, wirkt ungezwungen und gleichzeitig höchst durchdacht. Nach und nach lernen wir die Familienmitglieder näher kennen, ihre Beziehungen untereinander, ihre Vergangenheit und Zukunftsträume. Die Figuren machen manchmal subtile, manchmal grosse, aber immer bedeutende Veränderungen durch; als Zuschauer muss man seinen Eindruck stets aufs Neue überdenken. Plötzlich entpuppt sich die kühle Businessfrau als verspielte Träumerin; oder die strenge Lehrerin als romantische Schwärmerin. Jede Figur ist in ihrer Menschlichkeit greifbar. Was uns hier an Charakterentwicklung geboten wird, ist kaum mehr zu übertreffen.

Ang Lee (Crouching Tiger, Hidden Dragon; Brokeback Mountain) übt sich hier in der Kunst der leisen Töne. Eat Drink Man Woman kommt so bescheiden daher, dass man die Virtuosität hinter dem Understatement beinahe übersieht. Der Film eckt nirgends an. Er ist ein ein Werk über und für die Familie, äusserst gemütlich und liebenswürdig humorvoll. Lee geht keine Risiken ein. Diesen Umstand könnte man kritisieren, wäre er nicht gerade die Stärke des Filmes. Die zu erzählende Geschichte braucht keinen doppelten Boden, keine verborgene Botschaft. What you see is what you get: Es geht eben ums Essen, ums Trinken, um Frauen und um Männer. Es geht um die Liebe, die plötzlich einschlägt und mysteriöse Pfade beschreitet. Und schliesslich geht es ums Loslassen: Wie ein Vater sich von seinen Töchtern verabschiedet, sobald sie erwachsen werden. Und wie er sich selbst einen neuen Lebensweg sucht. Auf der Klaviatur der Liebe schlägt Lee ausserordentlich viele Akkorde an: Einmal erscheint sie stilvoll erotisch, einmal fast karikaturistisch. Wahrhaft magisch: Eines der Pärchen findet sich in der Dunkelkammer, während es eine Photographie entwickelt. Solche innovativen Details machen dieses Werk zu etwas wirklich Besonderem.

Stilistisch spannend wird der Film vor allem dann, wenn’s ums Essen geht. Das beginnt mit der Eröffnungsszene, die den Meisterkoch Chu in seinem Element zeigt: bei der Zubereitung des familiären Sonntagsschmauses. Was für eine wunderbare Charakterstudie diese ersten fünf Minuten sind! Chu spricht kein Wort, doch glaubt man, ihn schon eine Ewigkeit zu kennen. Ganz zu schweigen davon, wie lecker das alles aussieht. Der Schnitt, der Ton, die Struktur der Zutaten – Ang Lee vermischt das alles zu einem filmischen Leckerbissen. Eine andere Szene spielt im Restaurant, in dem Chu arbeitet: Die riesigen Dimensionen der Eingangshalle und der chaotischen Küche erschlagen einen geradezu. Ausserdem bilden sie einen vielsagenden Kontrast zu Chus idyllischem, heimischem Herd. Geschickt fängt Lee noch ganz andere Milieus ein: eine vollgestopfte Schule, ein schmieriger Fastfood-Laden und die strengen Büros einer Fluggesellschaft. So ist Eat Drink Man Woman auch eine Dokumentation der Stadt Taipeh der Neunzigerjahre. 

Eat Drink Man Woman ist ein wundervoller Film, ein ausgewogenes Familienportrait, das nicht nur für Freunde des asiatischen Kinos ein Muss ist. Humorvoll, romantisch, melancholisch – Lee findet genau die richtigen Zutaten und serviert uns einen makellosen Feelgood-Movie, der einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt.

10/10

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