Monday 3 April 2017

Ringu (1998)

Schleichender Grusel aus der Videokassette

Ein Fluch geht um in Japan. Genauer gesagt eine Videokassette. Wer sie sich ansieht, soll nach sieben Tagen sterben. So sagt man zumindest. Die Journalistin Reiko (Nanako Matsushima) will den Gerüchten auf den Grund gehen und macht die Kassette ausfindig. Sie wagt es: Sie schaut sich den sonderbaren Film darauf an. Und muss plötzlich um ihr eigenes Leben bangen. Subtil bedrohliche Zeichen mehren sich. Ein Telefon klingelt, doch am anderen Ende herrscht Schweigen. Auf Fotografien erscheint Reikos Gesicht plötzlich verzerrt. Zusammen mit ihrem Ex-Mann Ryuji (Hiroyuki Sanada) versucht sie, das Unheil abzuwenden. Sie sucht nach dem Ursprung der Kassette. Doch ist sie bereit für das, was in der Vergangenheit lauert?

In Gruselgeschichten wimmelt es von verfluchten Objekten. Wir denken an Amulette, Puppen oder Bücher; alles Dinge, die aus dem Dachboden eines verlassenen Hauses geborgen werden können. Doch auch moderne, vertraute Gegenstände werden mitunter zum Zentrum unseres Grauens. So etwa der Fernseher in Tobe Hoopers Poltergeist (1982). Doch nirgendwo ist der Techno-Horror effektiver, als im japanischen Kino: Tetsuo (1989) verwandelt seinen Protagonisten zur Maschine und Pulse (2001) vergegenwärtigt uns die Einsamkeit des Menschen im digitalen Zeitalter. Die grösste Ikone des japanischen Techno-Horrors dürfte allerdings Hideo Nakatas Ringu (1998) sein. Wird der Film seinem Kultstatus gerecht?

In der ersten Hälfte kommt Ringu recht unaufgeregt daher, ist eher Detective Mystery als Horror. Nakata verwendet viel Zeit darauf, in die Charaktere und die Hintergründe einzuführen. Akzente werden durch schrille Soundeffekte und leise Seltsamkeiten gesetzt. Die Kamera ist grösstenteils zurückhaltend, insbesondere dann, wenn sie die journalistischen Recherchen Reikos einfängt. Hier hat man zuweilen das Gefühl, einer mediokren Krimiserie zu folgen. Dieser realistische, kühle Ton lässt den Film zuweilen langatmig erscheinen. Die stilistische Ruhe sorgt dafür, dass die übernatürlichen Szenen umso stärker wirken. Dennoch wünscht man sich zuweilen, das Drehbuch wäre etwas straffer.

Ringu ist ein hintersinniger Meta-Film, der sich selbst zum Gegenstand des Horrors macht. Denn Nakata zeigt das verfluchte Video direkt. So werden die Zuschauer selbst Zeugen des todbringenden Filmmaterials. Natürlich glauben wir nicht ernsthaft daran, dass wir nach der Sichtung von Ringu sterben könnten. Aber sobald die Idee in unseren Köpfen ist, lässt sie sich nicht so leicht verscheuchen. Zumal das böse Omen äusserst profan ist: Wenn der Fluch seine Wirkung zeigt, klingelt das Telefon. Da zuckt man doch nervös auf, wenn man das nächste Mal einen Anruf erhält … Das alles sind äusserst effektive Kniffe, die das Gruseln mühelos ins echte Leben tragen. Das verfluchte Video ist schon für sich genommen gespenstisch genug: schwarz-weiss, surreal, unverständlich. Da stehen die Nackenhaare zu Berge.

In der zweiten Hälfte zieht Ringu deutlich die Spannungsschraube an. Reiko und Ryuji dringen immer tiefer ins ins Herz der Finsternis, decken die Ursache des Fluches auf und landen in einem Wettlauf gegen die Zeit. Hier finden sich die spektakulärsten Stellen des Filmes: sie sind spannungsvoll und bedrückend. Grandios ist die Szene, in der das ehemalige Paar in einen Brunnen steigt und ihn ausschöpft. (Ehrlich, im Kontext des Plots ergibt das einen Sinn. Aber Spoiler sind böse. Deshalb: Pssst.) Ihre Verzweiflung und Erschöpfung sind mit Händen greifbar. Meisterlich inszeniert von Nakata. 

So zermürbend ist die Brunnen-Sequenz, dass sie sogar die Schlussszene in den Schatten stellt. Jene Szene, in der sich der Fluch im wahrsten Sinne des Wortes manifestiert. Jene Szene, die es in den Kanon der Popkultur geschafft hat. Mittlerweile wurde sie fleissig parodiert und reproduziert, nicht nur zu ihrem Nutzen. Der letzte Schocker von Ringu muss wohl als Klassiker des modernen Horrorfilms angesprochen werden. Aber leider verliert sie nach jeder neuen Sichtung an Kraft. Wahrscheinlich deswegen, weil die Szene eher theoretisch, als filmisch interessant ist. Wenn die Pointe draussen ist, ist sie draussen. Beim zweiten Mal will sich der Schock nicht mehr so recht einstellen. Ja, das Ende bewegt sich fast an der Grenze des unfreiwillig Komischen. (Gerade beim J-Horror liegen das Lachhafte und das Verstörende zuweilen nahe beieinander.) Trotzdem: Beim ersten Mal haut das Ende schon rein. Mindestens einmal muss man es sich geben. 

Ringu ist ein edler Gruselfilm mit modernen Ideen und intelligenter Prämisse, der sich zu Beginn viel Zeit lässt, gegen Ende aber die richtigen Töne trifft. Vergleicht man ihn mit anderen Klassikern des J-Horrors, fällt er etwas ab. Leider kann man Ringu kein Meisterwerk nennen: Zu abhängig ist Nakata von der einen Schlussszene, zu träge schreitet der Plot voran, zu blass wirkt die Hintergrund-Geschichte der Kassette, und zu überhastet ist der allerletzte Twist. Trotzdem eignet sich Ringu vorzüglich als Einstieg in die asiatische Welt des Grusels. Das Setting ist zugänglich, die Grundidee packend, das Mysterium fesselnd. Aber Achtung: Das Teil kann eine Röhrenfernseher-Phobie verursachen. Na ja, glücklicherweise gibt es davon nicht mehr allzu viele.

8/10

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