Thursday 4 May 2017

After the Storm (2016)

Wackelige Gratwanderung zwischen Alltäglichkeit und Banalität

Ryôta Shinoda ist ein unverbesserlicher Hallodri. Vor fünfzehn Jahren wurde sein Debütroman mit einem Kritikerpreis ausgezeichnet, aber seither kriegt er nichts mehr auf die Reihe – weder in der Literatur, noch im Leben. Als Detektiv gräbt Ryôta die schmutzige Wäsche anderer aus, verwettet seinen Lohn aber meistens wieder im Glücksspiel. Er hat eine Scheidung hinter sich und sieht seinen Sohn nur einmal im Monat. Seiner Ex hängt er immer noch nach, beschattet sie zuweilen sogar. Seine Bemühungen, die Familie wieder zusammen zu bringen, scheinen zum Scheitern verurteilt. Doch als ein Taifun die Kleinstadt heimsucht und sich die Familie in die Wohnung der Grossmutter zurückziehen muss, wittert Ryôta eine letzte Chance …

Schon in der ersten Szene macht der Regisseur Hirokazu Koreeda deutlich, worauf es ihm in After the Storm (Umi yori mo mada fukaku) ankommt: auf zurückhaltenden Realismus. Er lässt Ryôtas Mutter und Schwester ungezwungen miteinander reden, wie man es halt im Kreise der Familie tut. Der Film wirkt von A bis Z authentisch, dokumentarisch fast. Das Drehbuch folgt weniger den Regeln der Dramaturgie, als denjenigen des Alltags. Das ist ein sympathisch langweiliger Ansatz. Während andere atemlos einem überspitzten Konflikt hinterher rennen, interessiert sich Koreeda für die schnöden Details der Lebenswelt. In welchem anderen Film müssen sich die Sprechenden während eines Dialogs mehrmals nach vorne Beugen, um der Kühlschranktüre zu weichen?

Koreedas Ansatz steht und fällt mit den Schauspielern, und diese machen ihre Sache ordentlich. Hiroshi Abe (Godzilla 2000) gibt seinen Ryôta trocken humorvoll. Der heimliche Star dieses Filmes ist allerdings Kirin Kiki (Kamikaze GirlsTokyo Tower) als Ryôtas verschmitzte Mutter. Ihr Schauspiel passt perfekt zu Koreedas Stil: Sie ist von A bis Z glaubwürdig, schrullig und doch weise. Mit ihrer gutmütigen Art dürfte sie mühelos das Herz des Publikums gewinnen.

After the Storm dreht sich um einen Vater, der seine Fehler wieder gut zu machen versucht, aber immer wieder in dieselben Fettnäpfchen tritt. Es geht um Geldprobleme, gebrochene Herzen und die Verantwortung für ein Kind. Kurz und gut: Es geht um das Leben, das immer komplizierter ist, als man es gerne hätte. Und mitunter auch langweiliger, als einem lieb ist. Zwar folgt Koreeda einem Plot, der durchaus interessant und sympathisch ist; dennoch reizt sein gemächliches Tempo nicht selten zum Gähnen. Die unaufgeregte Kamera tut ihr Übriges, um das Geschehen wie aus einem Fernsehfilm wirken zu lassen. So ist man beinahe versucht, das vorliegende Werk mit einem Schulterzucken abzutun.

Dass Koreeda die auseinander gebrochene Familie Ryôtas meisterhaft portraitiert, lässt sich nicht bestreiten: der Film erreicht genau das, was er erreichen will. Insofern ist er gewissermassen »perfekt«. Und doch, es drängt sich einem die Frage auf: Wozu das Ganze? Denn manchmal droht das allzu Alltägliche ins Banale zu stolpern. Gerade dann, wenn die Figuren – insbesondere Ryôta – scheinbar aus purer Verlegenheit leere Lebensweisheiten zum Besten geben. Ein Film wie Ang Lees Eat Drink Man Woman (1994) ist ebenfalls im Alltag verwurzelt; aber er gibt ihm eine Leichtigkeit, einen Zauber, der hier etwas fehlt. Man mag einwenden, dass der Alltag nunmal oft banal sei; und Koreeda insofern authentischer sei, als Lee. Kann sein. Trotzdem: Koreeda läuft Gefahr, das Alltägliche blind zu einem Fetisch zu machen.

Problematisch ist das vor allem dann, wenn der Film durch seine Figuren eine Botschaft zu vermitteln scheint – aber eben nur scheint, denn was Ryôta von sich gibt, sollte stets mit Vorsicht genossen werden. Hier steht After the Storm zwischen den Stühlen. Wir wundern uns: Wie stark sollten wir uns eigentlich vom Protagonisten distanzieren? Ist das, was wir hier sehen, die Banalität des Filmes, oder die Banalität des Lebens? Und geht es tatsächlich an, Ersteres mit Letzterem zu entschuldigen? Oder ist es nicht die Pflicht des Kinos, einen Gegenentwurf zum Alltagsleben anzubieten; eine Überhöhung, eine Dramatisierung? Das alles sind freilich verkopfte Überlegungen auf der Meta-Ebene. Immerhin: Ein Film, der solche Fragen ermöglicht, kann nicht schlecht sein.

After the Storm ist die Charakterstudie eines Vaters, der versucht, mit seinen vergangenen Fehlern ins Reine zu kommen. Der Film glänzt durch die beiden Hauptdarsteller Abe und Kiki. Das langsame Tempo wird durch feinsinnigen Witz und glaubwürdige Figuren aufgewogen. Das allein kann die Langeweile leider nicht immer vertreiben. Koreeda vollzieht eine wackelige Gratwanderung zwischen Alltäglichkeit und Banalität, die manche in den Schlaf wiegen und andere bezaubern wird. Unterm Strich ist der Film empfehlenswert. Denn er verkörpert eine Philosophie der Reduktion und Ruhe, die dem Kino durchaus gut tut.

7/10

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